Textatelier
BLOG vom: 10.10.2005

Bananenrepubliken, Gen-Diktaturen und WTO-Sklaven

Autor: Walter Hess

Der Begriff Bananenrepublik hat sogar Eingang in den Duden gefunden, der den Volksmund getreu nachvollzieht. Die Definition dazu: „Ba|na|nen|re|pub|lik, die [LÜ von engl. banana republic] (oft abwertend): kleines Land in den tropischen Gebieten Amerikas, das bes. vom Export von Bananen lebt u. von fremdem, meist US-amerikanischem Kapital abhängig ist.“ Anfänglich waren damit Honduras, Nicaragua und Panama gemeint, die unter der Fuchtel der geldgierigen US-amerikanischen Südfruchtexporteure dahinvegetierten, zum Hinterhof der sich überall einmischenden USA wurden und (inklusive Guatemala) soeben durch den Hurrikan „Stan“ schwere Verwüstungen hinnehmen mussten. Leidgeprüfte Länder. Anschliessend wurde der Begriff „Bananenrepublik“ dann auf alle Welt bis nach Afrika ausgedehnt.

Ich verstehe unter einer Bananenrepublik ein Land, in dem Korruption, Gewalt, Vetternwirtschaft und Gesetzlosigkeit herrschen, gewissermassen das Gegenteil von geordneten demokratischen Zuständen. Am Wochenende habe ich das Wort in einer Radiosendung über die Wahlfälschung in Obersiggenthal AG (Schweiz) gehört, auch wenn dort vor allem Äpfel und Birnen wachsen. Die eigentlichen Bananenrepubliken befinden sich in jenen südlichen Gefilden, wo die Bananen gedeihen, wie es das Wort sagt.

In den meisten Bananenrepubliken, die oft durch westliche Ausbeuter (Stichworte: Sklaverei, Kolonisation, Bestechung von Gewaltherrschern) in Unordnung gebracht worden sind, haben sich die Zustände kaum wesentlich verbessert. Vielerorts ist neuerdings noch durch die neoliberale Globalisierung inszenierte beziehungsweise weiter vorangetriebene Verarmung hinzugekommen. Sie nützt den in wohlhabenden Ländern ansässigen Unternehmen und deren Bossen; Manager von Grosskonzernen können sich selber Millionen in die Taschen schaufeln, selbst wenn sie die Unternehmen ruiniert und die Arbeitslosigkeit vergrössert haben. Die armen Länder können wegen der deregulierten Märkte überhaupt nicht mehr mithalten. Denn die Industriestaaten verfügen über die besseren Karten, indem sie sich einen gewissen Protektionismus (Schutzmassnahmen zugunsten der eigenen Wirtschaft) leisten können und mit allen Tricks auch leisten. Auch die Produktionsrationalisierungen in den reichen Industrieländern helfen mit, die armen Länder an den Rand zu drängen, zu marginalisieren. Selbst in der Landwirtschaft überlebt nur noch der voll mechanisierte Industriebetrieb. Die Vernichtung von kleinen und mittleren Bauern mit Land an Hanglagen ist ein aktuelles globales Drama, dessen Folgen (auch auf die Natur) noch gar nicht abschätzbar sind.

Die Sprache ist manchmal grausam und überheblich. Von einer „Dritten Welt“ mag ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr sprechen und schreiben; denn die darunter verstandenen Länder sind auf den 3. Platz verwiesen; wir selber sind die „Erste Welt“, nehmen also den Spitzenplatz auf dem internationalen Podest ein. Ich habe diesbezüglich eine differenziertere Betrachtungsweise. Erstens ist dieser Westen zum US-Vasallen degradiert worden, und dies ist nicht gerade eine stolze Situation. Er lebt als Knecht unter der Fuchtel einer aggressiven, ausbeuterischen Grossmacht, die ihn immer wieder zu Kriegsdiensten aufbietet, zur Unterstützung bei Kriegen zur Ausweitung der Macht auf dem Hintergrund von Rohstofferoberungen mit dem damit verbundenen Reichtum. Selbst die Schweiz fällt auf die US-gesteuerte Nato herein.

Ich halte die Knechte (landwirtschaftliche Angestellte) in Ehren, die eine ehrliche Arbeit verrichten und hoffentlich bei anständigen Landwirten angestellt sind. Wo aber die Knechtschaft wie jene in der internationalen Politik üblich ist und zur reinen Unterwürfigkeit unter das Kommando einer Führungsequipe im Weissen Haus und im Pentagon wird, die jede Form von Ethik mit Füssen tritt und deren Häuptling sich nicht einmal an internationale Normen bei der Behandlung von Gefangenen halten will (und damit im Prinzip das kriminelle Foltern durch die US-Armee legitimiert), wird sie zum Ausdruck eines primitiven, gedankenlosen Mitläufertums. Ist so etwas jener, die auf der oberen Etage des Podests zu stehen glauben, würdig? Meiner Ansicht nach müssten sie deklassiert werden.

Das Wort Bananenrepublik muss, wenn man es schon im Sprachgebrauch beibehalten werden will, durch treffende Ausdrücke für die westlichen Mitläufer-Länder ergänzt werden. Die Bananenrepublikaner sind zu nobel, um uns mit gleicher Münze heimzuzahlen. So muss die Ergänzung halt eben aus dem ferngesteuerten Europa kommen. Ich schlage für die westliche „Staatengemeinschaft“ Ausdrücke wie US-Sklaven oder WTO-geschädigte Neoliberalisten vor; auch die Bezeichnung Genmais-Diktatur wäre meines Erachtens nicht schlecht, eine schöne, treffende Abwandlung von Bananenrepublik. Weil ich lieber Bananen, wenn sie nicht gerade aus US-Plantagen stammen, als Genmais habe, würden die Bananenrepubliken vergleichsweise indirekt aufgewertet.

Auch das US-Hormonfleisch, welches auch Menschen, die es essen, zu Fleischlawinen macht, wird uns im Rahmen der Handelsliberalisierung zunehmend aufgezwungen wie Hamburger und Coca Cola. Man würde also sinnvollerweise von cocakolonialisierten Hormongewaltherrschaften oder -diktaturen (kurz: Cocahodick) sprechen.

Vielleicht finden unsere Nutzer noch treffendere Bezeichnungen für die gegängelten Mitglieder auf dem Podest. Der Duden wird diese Wortneuschöpfungen hoffentlich ebenso bereitwillig aufnehmen wie jene, die arme Länder, denen wir einen nachhaltigen Schaden zugefügt haben, verbal heruntermachen.

Hinweis auf Blogs zum Thema Bananenrepublik

 

08. 10. 2005: „Reaktionen auf Blogs: Beste Impulse von Nutzerseite“

16. 09. 2005: „Diese Uno (60): Zwischen Nullereignis und Weltärgernis“

15. 09. 2005: „Bananenrepublik USA: Kapitale Böcke und arme Teufel“

Hinweis auf weitere Blogs von Hess Walter
Die unendliche Geschichte der Sondermülldeponie Kölliken
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